Tag der Deutschen Einheit


Rede des Oberbürgermeisters Silvio Witt zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2017

Liebe Neubrandenburgerinnen und Neubrandenburger, aber vor allem, herzlich willkommen sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Lange, liebe Simone!

Wenn wir heute den 27. Tag der Deutschen Einheit feiern, fühlt es sich für die meisten von uns schon als etwas Normales an. Wir feiern sozusagen die Normalität, denn eine ganze Generation hat den Alltag eines geteilten Deutschlands nicht mehr erlebt.

In diesem Jahr durften wir zudem einen rechnerischen Wendepunkt unserer jüngeren Geschichte erleben. Die Mauer teilte uns Deutsche 28 lange Jahre. Aber genau 28 Jahre steht sie nun nicht mehr. Dieser Fakt gehört zu unserer fast nüchternen Normalität einer gemeinsamen Nation. Doch sollten wir Normalität nicht mit Selbstverständlichkeit verwechseln.

Umso mehr hilft in diesem Jahr ein Blick zurück.

Vor 30 Jahren schlossen die Städte Flensburg und Neubrandenburg eine deutsch-deutsche Städtepartnerschaft. Doch mehr als das „-burg„ im Namen und die Sprache verband uns zu dieser Zeit nicht. Als ich im Januar dieses Jahres gemeinsam mit der stellvertretenden Stadtpräsidentin nach Flensburg fuhr, nutzte ich die Zeit dort zum Austausch. Dich, liebe Simone, bekam ich kaum zu Gesicht, denn um Dich drehte sich alles – schließlich war es der Tag Deiner Amtseinführung.

Doch ich konnte mich am Rande der Veranstaltung mit Olaf Cord Dielewicz unterhalten. Er war 1987 Oberbürgermeister an der Förde und kann sich noch heute an die denkwürdigen Begegnungen erinnern. Bei einem Besuch von Neubrandenburgs damaligem Oberbürgermeister Heinz Hahn lud das Flensburger Stadtoberhaupt die Delegation zu sich nach Hause ein. Erst zögerten die Gäste, sagten dann letztendlich doch zu. Und es wurde bis tief in die Nacht geredet und gefeiert. Und da die Flensburger darauf achteten, dass alle gleich viel tranken, wusste man, dass man sozusagen allein war. Eine Anekdote am Rande: Mein Fahrer erzählte mir, dass einer der Lada mit denen man anreiste, auf der Hinfahrt stehenblieb und man innig hoffte, die Reparatur würde Tage dauern. Die Flensburger zeigten sich mit russischen Fabrikaten jedoch bestens vertraut.

Im offiziellen Austausch blieb man jedoch immer distanziert und die Deutschen an der Förde schienen so ganz anders als die Deutschen vom Tollensesee. Fast 40 Jahre unterschiedliche politische Sichtweisen und Systemzugehörigkeit, andere Bildungsansätze oder soziale Absicherungen hinterließen Verwunderung und vor allem tiefe Gräben auf der einen und auf der anderen Seite. So war man sich zu diesem Zeitpunkt dann immer auch ein wenig fremd und im wahrsten Sinne des Wortes unvergleichbar. Wer hätte geglaubt, dass man bereits einige Jahre später darüber diskutiert, wann nun endlich gleiche Verhältnisse in beiden vormaligen Teilen Deutschlands herrschen würden.

Denn nur zwei Jahre nach Abschluss des Vertrages zwischen unseren beiden Städten fiel die Mauer und in wenigen Monaten vollzog sich, was über Jahrzehnte wie eine Utopie erschien – die Wiedervereinigung.

Lassen Sie uns den Blick hierfür über die Grenzen unserer Städte hinaus werfen. In der Nachkriegsgeschichte prägten aus meiner Sicht drei Kanzler maßgeblich dieses Land. Konrad Adenauer holte die Deutschen im Inland und vor allem auch im Ausland wieder aufrecht auf den Boden und in den Alltag. Er schaffte ein Land, das sich zwar nicht in aller Konsequenz von seinen Schatten befreite, aber er führte die Bundesrepublik mit einer Solidität, die für Stabilität sorgte.

Willy Brandt machte mit seinem bekannten Ausspruch „Mehr Demokratie wagen!„ den Weg für gesellschaftliche Erneuerungen frei. Vieles in unserem heutigen politischen Alltag – von der Gleichberechtigung von Mann und Frau bis zur Entwicklungshilfe – brachte er in seiner Kanzlerschaft auf den Weg. Nicht zu vergessen seine Ostpolitik. Wer hätte gedacht, dass ein Kniefall so viel Last von den Schultern nehmen kann und den ehemaligen Gegnern zeigt, dass wir tatsächlich neue gemeinsame Wege beschreiten wollen.

Helmut Kohl war ein streitbarer Kanzler und ich gebe unumwunden zu, als er 1998 nach 16 Jahren die Kanzlerschaft verlor, empfand ich, dass die Zeit für etwas Neues reif war. Doch gerade sein Tod in diesem Jahr hat uns mehr als deutlich in Erinnerung gerufen, dass seine Art des Regierens im Jahr 1989 richtig und vor allem mutig war. Er hat das winzige Zeitfenster zur Deutschen Einheit gesehen und – gehandelt. Er hat seine Freunde auf seiner Seite gehabt und seine Gegner überzeugt. Er hat das getan, was Politiker tun müssen – Verantwortung tragen. Für diese Entschlossenheit bin ich dem Altkanzler heute dankbar.

Dankbar bin ich aber vor allem den mutigen Menschen, die 1989 an die Kraft der Veränderungen und – so scheint es – auch an das Gute im Menschen geglaubt haben. Was mit Gebeten und Gesprächskreisen begann, entfesselte die Freiheitsliebe in immer mehr Menschen. Sie gingen auch in Neubrandenburg auf die Straßen und konnten nicht wissen, ob der Nebenmann ein Gleichgesinnter oder ein Denunziant war. In einer Stadt, in der die Staatssicherheit überproportional ihr Unwesen trieb, keine ganz unberechtigte Frage. Diese mutigen Menschen haben 1989 die Freiheit zurückgebracht.

Die jüngere Generation sollte stets an diesen Mut, der die Normalität von heute gebracht hat, erinnert werden. Auch deshalb setze ich mich dafür ein, dass das Landesmuseum zur friedlichen Revolution seinen Platz hier in Neubrandenburg erhält.

Meine Damen und Herren, in unserem Land ist nicht alles gut. In unserem Land müssen viele Dinge neu definiert und angepackt werden. Dennoch leben wir in einem guten Land – bei allen Unterschieden und bei allen Ungerechtigkeiten. Es geht uns gut. Mit diesem Gedanken sollten wir uns daran machen, die Menschen zu unterstützen, die ihre Chancen nicht mehr sehen können. Denn mit dem Verbauen von Chancen ist noch kein Land besser geworden. Das lehrt gerade unsere Geschichte.

Ich stehe daher der Unreflektiertheit in manchen sozialen Medien kritisch gegenüber. Ich sehe dies als eine Gefahr für unser friedliches Zusammenleben. Sowohl in der großen Politik als auch hier bei uns im städtischen Alltag. Fakten und Prozesse werden falsch oder verkürzt dargestellt und der Duden kennt mit „fake news„ nun sogar schon ein Wort dafür. Wir müssen vorsichtig sein, dass uns Stimmungen und Meinungsbilder nicht den Blick auf das verblenden, was wir tatsächlich geschaffen und geschafft haben. Schon gar nicht dürfen Hetze und Falschnachrichten die Pfeiler unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ins Wanken bringen. Wenn der Hass aus der virtuellen Welt demokratiefeindlichen Kräften die Menschen in die Arme treibt, sind wir alle gefordert.

Gern würde ich mit den vielen dieser „Facebook-Demokraten„ ins Gespräch kommen und mit ihnen gemeinsam konstruktiv an dem arbeiten, was wir alle wollen – ein lebenswertes Neubrandenburg, in einem schönen Mecklenburg-Vorpommern, in einer sicheren Bundesrepublik.

Oberbürgermeisterin Lange ist in Rudolstadt in Thüringen geboren. Die Flensburger Stadtpräsidentin Swetlana Krätzschmar kommt gebürtig aus Russland und hat in Dresden gelebt. Für eine ehemals westdeutsche Stadt ist Flensburg inzwischen ganz schön ostdeutsch. Beide Frauen prägen das Leben ihrer Stadt. Ein Fakt, an den sie in ihrer Kindheit und Jugend sicher nicht im Ansatz zu träumen gewagt haben. Ganz sicher war Flensburg damals für sie gedanklich und tatsächlich unerreichbar.

Heute setzt Du Dich, liebe Simone dafür ein, dass so manches Thema, was heute noch nicht selbstverständlich erscheint, bald Normalität ist. Knapp ein Jahr im Amt hast Du mit Themen wie Geschlechtergerechtigkeit, Ehrenamtswürdigung und Flüchtlingshilfe bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt. Als nördlichste kreisfreie Stadt Deutschlands ist Flensburg auf ein kontinuierliches Miteinander mit Dänemark angewiesen. Nicht immer ist man einer Meinung, aber das gehört zum Alltag in Flensburg dazu. Vielleicht können wir zu diesen Erfahrungen auch in unserer Städtepartnerschaft austauschen. Diese lebt bisher vor allem im Sport. Für die Kinder- und Jugendarbeit haben wir im kommenden Jahr etwas Verbindendes in Vorbereitung.

Zwei Jahre waren unsere Städte Partner in zwei Staaten. 28 Jahre sind wir es in einem geeinten Land. Unsere Freundschaft ist – wie der Tag der Deutschen Einheit – fast schon so etwas wie Normalität. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass wir den Segen dieser Normalität fortwährend erfahren dürfen.

Neubrandenburg - 03.10.2017
Text: Pressestelle Vier-Tore-Stadt Neubrandenburg am Tollensesee