Stopp der Entsorgung und Umdeutung der Geschichte


Wie bekannt wurde, ist Ende Mai in Prora, Block IV, das 2012 unter Denkmalschutz gestellte KDL-Wachgebäude fast vollständig entkernt und zerstört worden. Es war das nunmehr letzte Gebäude des einstigen Militärstandortes Prora, das über eine weithin intakte Ausstattung aus DDR-Zeiten verfügte. Damit setzt sich fort, was in Prora offenbar System hat. Erstmals jedoch wurde gestern Strafanzeige gegen die Zerstörung der baulichen Spuren der DDR-Geschichte gestellt. Den Fall bearbeitet das Kriminalkommissariat Stralsund.

Block IV beherbergte nach dem Abzug des Panzerregiments 8 im Jahr 1964 (mit Dutzenden Panzern im Bestand, die zum Teil zur Absicherung des Mauerbaus in Berlin zum Einsatz kamen) Teile des MSR 29, ehe nach einem Umbau 1981 die berüchtigte Offiziershochschule für ausländische Kader eröffnete. Dort wurden Rekruten für befreundete Armeen, insbesondere den sozialistischen Befreiungsbewegungen, ausgebildet.

Mit der Zerstörung des einstigen Kontrolldurchlasses, der auch über eine Arrest-/Ausnüchterungszelle für ausländische Militärs verfügte, sind all jene ihrem Ziel ein großes Stück näher gerückt, die den Ort einzig und allein als Seebad definieren wollen. Erst nach der politischen Wende wurde die Bezeichnung „ehemaliges KdF-Bad„ geprägt, der seither in die Irre führt: Der Ort wurde nie als ein solches fertiggestellt, vielmehr im Zeitalter des Stalinismus zur Großkaserne entwickelt. Erfahrungsräume zweier Generationen früherer DDR-Bürger werden brutal untergraben. Während die Aufarbeitung der Geschichte der SED-Diktatur versagt, werden nationalsozialistische Seebadträume salonfähig gemacht. Wer sich ernsthaft Sorgen um den wachsenden Rechtsextremismus im Osten macht, der analysiere nicht zuletzt ostdeutsche Erfahrungsräume und die bundesdeutsche Erinnerungskultur, die weite Teile dieser facettenreichen Geschichte(n) untergräbt. Bitte beachten Sie unseren verschärften Forderungskatalog am Ende.

Unbegreiflich ist es, wie die Bildungseinrichtungen vor Ort, Prora-Zentrum e.V. und Dokumentationszentrum Prora e.V., die Entsorgung der Geschichte unkommentiert geschehen lassen können. Insbesondere der mit EU- und Landesmitteln geförderte Bildungsverein Prora-Zentrum e.V., der sich nach langjährigem Insistieren der Initiative Denk-MAL-Prora endlich der Nutzungsgeschichte des Kolosses annahm, hätte über Jahre hinweg Sensibilität für das Denkmal wecken müssen und somit zum Schutz beitragen können. In erheblichem Maße mitverantwortlich für die Entsorgung der Geschichte des Ortes Prora ist die ehemalige Landrätin Kerstin Kassner, die jetzt in einem gesonderten Schreiben1 kontaktiert wurde. Darin wird sie an Ihre Verantwortung hinsichtlich der ersten Entkernungswelle der einstigen Kaserne (Block V) in den Jahren 2002/03 erinnert. Diese Zerstörung wird die geplante abermalige Inbetriebnahme der Räumlichkeiten bzw. den Aufbau eines Bildungszentrums erheblich verteuern.

Die Zerstörung authentischer Spuren aus der realen Geschichte des Ortes, die zwei Generationen Ostdeutscher prägte, wurde mit dem Bau der Jugendherberge Prora 2009/11 fortgesetzt und hat inzwischen alle 5 Blöcke erfasst. Ohne Zeitfenster in die Geschichte geht dieselbe jedoch verloren, zumal auch die Medien die Geschichte der DDR an diesem Ort weithin wie eine geheime Verschlusssache behandeln.

Wir fordern:

Die Vorstellungen wurden zum Teil bereits dem Landesdenkmalamt weitergeleitet, welches Einsichten signalisiert und Bemühungen erkennen lässt.3 Eine Liste mit weiteren Korrekturvorstellungen im Interesse des Erhalts letzter Merkmale des historischen Militärstandortes ist in Arbeit und geht den einschlägigen Behörden und Ministerien zu.

Berlin - 07.06.2017
Text: Denk-MAL-Prora